Zukunft der Pflege

Digitale Sturzprävention per App

Das Risiko zu stürzen und sich dabei zu verletzen, nimmt mit dem Alter zu, denn Balance, Muskelkraft, Ausdauer und Beweglichkeit sind nicht mehr so ausgeprägt wie in jungen Jahren. Mit Hilfe einer App des Berliner Health-Tech-Unternehmens Lindera soll über personalisierte Empfehlungen zu Sturzprävention und Förderung der Mobilität das Sturzrisiko bei älteren Menschen gesenkt werden. Alloheim setzt die Sturzpräventions-App bereits seit rund zwei Jahren im Pflegealltag ein.

02.02.2022

Per Lindera-App wird eine Aufnahme des Gangs einer Frau gemacht

Interview mit Diana Heinrichs

Diana Heinrichs, Gründerin und CEO von Lindera, berichtet im Interview wie die Sturzpräventions-App funktioniert, welche Chancen sie bietet und wie sie eingesetzt wird.

Portrait von Diana Heinrichs, Gründerin und CEO von Lindera

Wie kam es dazu, dass Sie eine Sturz-App entwickelt haben?

Diana Heinrichs: Mit dem Thema Pflege hatte ich mich schon länger beschäftigt. Meine Oma war pflegebedürftig und konnte dank der Hilfe meiner Familie und einem ambulanten Pflegedienst bis zum Schluss zu Hause wohnen. Trotzdem war sie – wie so viele Menschen im hohen Alter – auch vor Stürzen nicht gefeit. Meine Familie versuchte dem Sturzrisiko mit verschiedenen Maßnahmen präventiv entgegenzuwirken – sei es durch Sportkurse, die meine Oma besuchte, um die Muskelkraft aufrecht zu erhalten oder durch das Vermeiden von Stolperfallen im Haushalt wie Teppichkanten. Mir fiel auf, dass es nur wenige hilfreiche Anwendungen zur Sturzprävention auf dem Markt gab. Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits sechs Jahre bei einem internationalen Technologieunternehmen gearbeitet und mich mit generationsübergreifenden Technologieanwendungen beschäftigt. Daher überlegte ich, wie man innovative Technologien nutzen kann, um Stürze zu vermeiden und zu minimieren. Eine der wichtigsten Ansätze dabei waren für mich Videoaufnahmen des Gangbilds.

Und wie ging es dann weiter?

Diana Heinrichs: Zunächst habe ich mich 2016 freistellen lassen, um Erfahrungen in der Pflegepraxis zu sammeln. Dafür habe ich in einem ambulanten Pflegedienst in Beckum gearbeitet und ein einjähriges Stipendium der Malteser für die stationäre Pflege erhalten. Hier konnte ich viel über die Arbeit in der Pflege lernen, was natürlich in unsere Entwicklung zur Sturzprävention einfließt. Ich entwickelte meine Idee der Gangbildanalyse per Smartphone mit Unterstützung verschiedener Experten weiter. Heraus kam dabei eine auf künstlicher Intelligenz basierende Mobilitätsanalyse per App, die präzise mit einer gewöhnlichen Smartphone-Kamera den Gang untersucht – und somit überall und ohne besonderen technischen Aufwand einsetzbar ist.

Wie genau funktioniert die Sturzprophylaxe App?

Diana Heinrichs: Zur Sturzanalyse geht es in drei einfachen Schritten: Per Handykamera wird in einem 30-sekündigen Video der Gang einer Person aufgenommen. Anschließend befüllt eine Pflege- oder Betreuungskraft gemeinsam mit der Seniorin bzw. dem Senior einen Sturzfragebogen, der in der Lindera-App hinterlegt ist. Am Ende ermittelt die App auf Grundlage dieser beiden Elemente eine Analyse des Sturzrisikos sowie einen individuellen Maßnahmenplan zur Sturzvermeidung.
 

Lindera-App analysiert den Gang einer Person zur Sturzprophylaxe


Das Gangbild wird dabei anhand medizinisch validierter Bewegungsparameter analysiert, was wichtig für eine objektive Gangbildanalyse und unsere Orientierung am Expertenstandard ist. Das geschieht über Linderas Algorithmen und künstliche neuronale Netzwerke, die ein genaues, anatomisch korrektes Bild der Gelenk- bzw. Skelettdaten anfertigen. Im Fragebogen werden zusätzliche Faktoren abgefragt, die im Gangbild selbst nicht zu sehen sind, aber bei der Sturzprävention eine wichtige Rolle spielen. So geht es zum Beispiel um Vorerkrankungen, die Einnahme von Medikamenten, Schwindel oder aber auch Kribbeln in den Füßen. Hinzukommen Fragen zum Wohnumfeld und zur Alltagssituation. Je mehr Risikofaktoren bestehen und je ausgeprägter diese sind, umso höher ist der potenzielle Sturzgrad. Darauf basierend schlägt die App individuelle und evidenzbasierte Maßnahmen zur Sturzprophylaxe vor. Gemeinsam mit den Expert:innen von Alloheim haben wir auch die Integration in das bestehende Dokumentationssystem ausgearbeitet und umgesetzt, um für die Pflegekräfte eine spürbare Arbeitserleichterung zu erreichen.

Wird es in Zukunft mehr Digitalisierung in der Pflege geben?

Diana Heinrichs: Ja, davon bin ich fest überzeugt. Die Digitalisierung ist ein wesentlicher Schlüssel, um dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel zu begegnen. Nehmen wir unsere SturzApp als Beispiel, die übrigens seit etwa zwei Jahren auch in Alloheim Senioren-Resizenzen im Einsatz ist: Alle Daten aus der App können mit Dokumentationssystemen von Pflegeheimen oder Krankenhäusern verbunden werden. Dadurch ist der Dokumentationsaufwand zur Sturzprävention wesentlich geringer und die Pflegekräfte haben mehr Zeit für die soziale Betreuung. Im Weiteren kann die Qualität der Pflege mit digitaler Unterstützung dauerhaft gesteigert werden. Denn das Arbeiten mit digitalen Systemen spart nicht nur Zeit, es sind auch viel umfassendere Informations- und Dokumentationsaufnahmen sowie Fortschrittsmessungen möglich. Digitales und vernetztes Arbeiten wird es aus meiner Sicht künftig auch vermehrt in der Pflege geben. Gemeinsam mit unseren Partnern wie Alloheim wollen wir helfen, die Pflege weiter zu digitalisieren, Pflegekräfte zu entlasten und dem Berufsbild Pflege wieder zu mehr Attraktivität zu verhelfen.

Alloheim weitet Kooperation mit Lindera aus

Als einer der ersten Pflegeheimbetreiber hat Alloheim im Frühjahr 2020 begonnen, die Lindera-App im Pflegealltag zu nutzen. Gestartet wurde als Pilotprojekt zunächst mit fünf Einrichtungen. Nach einer ausgiebigen Testphase kamen weitere Einrichtungen hinzu. Aktuell nutzen bereits 74 Alloheim Pflegeeinrichtungen bundesweit die Präventions-App. Der Roll-Out in den übrigen Residenzen der Alloheim-Gruppe soll nun weiter vorangetrieben werden, so dass bald jede der rund 240 Einrichtungen mit der Lindera-App die Qualität im Bereich der Sturzprävention weiter erhöhen kann.  

Die Integration in die Pflegedokumentationssoftware hat Alloheim gemeinsam mit Lindera und weiteren Partnern konzipiert, um mit den Erfahrungen aus der Praxis eine spürbare Entlastung für die Pflegekräfte zu schaffen. Durch den Einsatz der App haben die Mitarbeitenden nun mehr Zeit für die Pflege und persönliche Betreuung der Bewohner – für diese ein klares Plus an Lebensqualität.